Die Alpbach Chronik 1999

06.08.1999 Tal der Schlangen

Eigentlich wollte ich heute die Sagtaler Spitze besteigen, aber daraus wird wohl nichts. Ich hänge am steilen Südhang, der Weg ist schlecht markiert und ich weiß weder vor noch zurück.
Dabei fing alles so gut an. Die Gondelbahn brachte mich zum Hornboden, von dort führen gleich zwei Panoramawege auf ein kleines Plateau an der Südseite des Wiedersberger Horns. Dort wurde ich Zeuge eines spektakulären Naturereignisses: der Orogenese. So nennen Geologen die Entstehung von Gebirgen.
Mit freundlicher Unterstützung der Firma Moser Hoch-und Tiefbau entsteht hier gerade ein brandneuer Gipfel! So, oder so ähnlich, muß sich auch die Entstehung der Alpen vor 100 Millionen Jahren abgespielt haben. Damals hat es nur viel länger gedauert, denn die Dinosaurier kannten noch keinen Diesel. Moser baut einen Berg Vor meinem geistigen Auge manifestierte sich spontan ein Bild des fertigen Berges: unten sitzt ein kleiner Mann mit einem lustigen Hut in einem lustigen, kleinen Häuschen und verkauft Eintrittskarten zu ATS 50, via Rolltreppe oder Aufzug gelangt der Alpenfreak auf den Gipfel. Dort erwartet ihn eine herrliche Aussicht auf die große Infomatic- Werbeleinwand (eine Art multimediales Gipfelkreuz). Aus den Kilowattboxen der Pommesbude dröhnt das Kufsteinlied, den Duft von ranzigem Fett gibt es gratis dabei und alle Menschen sind Brüder respektive Schwestern.
Zurück in der Realität wurde mir klar, daß hier doch nur ein weiterer Lift für unsere Schifreunde errichtet wird. Schließlich gibt es am Wiedersberger Horn erst drei oder vier von der Sorte. Wer vom Tourismus lebt, muß auch mit dem Tourismus leben. Ein heikles Thema in den Alpen, über daß ich mich nicht weiter ereifern möchte. Letztlich tröstet das Sprichwort: einen geschundenen Berg kann nichts mehr entstellen.
Weiter ging es über den Kamm Richtung Süden, der relativ einfach zu begehen ist und trotzdem Laune macht. Irgendwann teilt sich der Grat, links liegt die Sagtaler Spitze und rechts eine kleine Hochebene, ca 2100m hoch. Dort liegt noch Schnee, es gibt einen putzigen Weiher und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben echte Schlangen gesehen. Die possierlichen Reptilien waren darüber noch erschrockener als ich selbst.
Aber jetzt hänge ich fest und verspüre zum ersten mal nackte Angst, sehr aufregend. Das ist nun der Nachteil, wenn man ganz alleine lostrottet, um eine fremde neue Welt zu erkunden. Man ist zwar vollkommen frei und unabhängig, doch niemand ist da, der einem die Gedanken stärkt. Bergsee unterhalb des Standkopfes Ein Hubschrauber fliegt über mich hinweg und landet in einem kleinen Hochtal in der Nähe. Als er wieder aufsteigt, hat er eine Kuh unten dranhängen, die sich vermutlich in einer ähnlich prekären Lage wie ich befunden hatte.
Regel 1: Aufi paßts schon irgendwie, doch runter schlottern dir die Knie. Man sieht nämlich genau, was einen so erwartet. Zudem muß man die Schwerkraft mäßigen, die einen gemäß dem Prinzip der kleinsten Wirkung unmittelbar ins Tal befördern möchte.
Natürlich bin ich irgendwann wieder runtergeklettert, was blieb mir ohne Zahnbürste und Schlafanzug anderes übrig. Kühe sind wahrscheinlich nicht intelligent genug, ihre Ängste zu überwinden. Oder sie sind sogar derart intelligent, daß sie es so zu deichseln verstehen, vom Hubschrauber abgeholt zu werden statt laufen zu müssen.
Der Abstieg war dann auch viel leichter, als ich dachte. Als ich schon wieder auf dem Kamm in Richtung Horn marschiere, kommt mir die Angsthasen- Show von vorhin doch reichlich albern vor.
Schon deshalb wird mir mein Versagen hier keine Ruhe mehr lassen, will sagen: ich komme wieder!!!

Fazit: Das war ja eher peinlich!


09.08.99 Gratlspitz (1894m)

© Stefan Maday 5.10.2001