Dolomiten Report 2001
04.07.2001 Von der Dreizinnenhütte zur Fonda Savio Hütte (2367m)
Dreizinnenhütte -
Paternsattel -
Auronzohütte -
Forcella Rimbianco -
Fonda Savio Hütte
(i) Zu den Drei Zinnen
Nachdem sie fast neun Stunden außer Betrieb waren, sind meine Augen offenbar derart
getrübt, dass ich beim ersten Blick aus dem Fenster fast gar nichts erkennen kann. Es
hängt ein dichter Grauschleier über meinen Linsen. Als auch vermehrtes Reiben der
Glubscherchen nichts an diesem Zustand ändert, schwant mir Böses: die Nebelsuppe ist
authentisch. Das Wetter macht dort weiter, wo es gestern abend aufgehört hat.
Nach der üblichen rudimentären Morgentoilette packen wir unsere hundert Sachen und
schicken uns an, der Dreizinnenhütte Lebewohl zu sagen. Schön war die Zeit. Und
kostspielig.
Unser erstes Ziel für den heutigen Tag soll die Auronzohütte sein. Die liegt auf der
anderen Seite der Drei Zinnen und ist von hier aus prinzipiell über zwei Routen erreichbar:
den Senioren-Highway 101 an der Westflanke des Paterno oder den Weg 105, der sich etwas
schwerfällig durch die Lange Alpe auf und ab windet. Da die Sichtverhältnisse eher
bescheiden und
die Muskelkater am frühen Morgen noch reichlich schmerzhaft sind, entscheiden wir uns
für den einfacheren der beiden. Wir folgen dem breiten, gut ausgebauten Highway 101, der
ohne große Höhenschwankungen im "Schatten" des Paternkofel verläuft.
Wir kommen zügig voran, denn Hugo Reider hat hier mit seinem Bagger fleißig Schnee
geschippt, auf dass kein Turnschuhtourist aus Misurina den Weg zu seiner Hütte scheue.
Neben der Schotterstraße liegt der Schnee noch teilweise mannshoch. Als wir den
Paternsattel (Forcella Lavaredo, 2457m) erreicht haben, finden wir uns quasi direkt am Fuße
der Kleinen Zinne wieder. Aus unmittelbarer Nähe wirken die drei Hauer richtig ehrfurchtgebietend,
denn wir bekommen eine Vorstellung von ihren Dimensionen dank zweier Kletterer, die
sich in der Ostwand der Großen Zinne vergnügen. In der gewaltigen 500m-Senkrechten sind sie
praktisch nur mit dem Fernglas auszumachen.
Eine Gruppe von Schulkindern kommt von der Gegenseite herauf. Eifrig machen die Ragazzi
Fotos von uns, denn sie halten uns offenbar für Klettersuperhelden oder - Geruch
und Aussehen bedacht - für kuriose Bergprimaten. Vielleicht haben sie es auch nur auf die
Drei Zinnen abgesehen und wir sitzen schlicht und ergreifend im Weg. Dennoch sollte
ich mir heute abend einmal die Haare waschen.
(ii) Selbst ist der Mann
Dachten wir bis hierhin, die Sicht sei heute eher la la, werden wir auf der Südseite
der Zinnen eines besseren belehrt. Während unseres Abstieges zur Auronzohütte stapfen wir
durch einen fiesen nässenden Nebel, der es uns kaum gestattet, bis zur nächsten Biegung
zu sehen. Die Südwände der Zinnen sind unsichtbar, nur die riesigen abgeschlagenen
Felsbrocken am Wegesrand zeugen von ihrer Existenz.
Viele Wanderer kommen uns entgegen, aus der Anzahl der
"Ciao"s und "Grüß Gott"s pro Minute können wir die Entfernung zur Auronzohütte gut
abschätzen. Bald schält sie sich vor uns aus dem opaken Dunst. Keinen Augenblick zu früh,
denn wir sind hungrig, nass und durchgefroren. Meine Kopfschmerzen
melden sich wieder, folglich sind sie wohl eher
hypoxischen als alkoholischen
Ursprungs. Das freut mich sehr, so kann ich heute abend auf der Hütte wieder guten Gewissens
zulangen. Das wird auch nötig sein, denn schließich haben wir auf der Fonda
Savio Bettenlager gebucht. Auch Michael fühlt sich heute schlapp, meint, er hätte sich
wohl müde geschlafen heute nacht.
An der Selbstbedienungstheke holen wir uns das lange überfällige Frühstück: zwei gigantische
Käsebrötchen und eine Dose koffeinhaltiger Limonade aus Atlanta für 14000 Lire. Draußen
scheint gar kurzzeitig die Sonne, der Nebel lichtet sich und gibt für einen
Moment den Blick auf unseren weiteren Weg frei. Das vermag unsere merkwürdig gedrückte
Stimmung zumindest ein wenig zu erhellen.
(iii) Zur Fonda Savio, 1.Versuch
Der Weg mit der Nummer 117 ist kongruent mit dem Dolomiten-Höhenweg Nr.4 und derart
bedeutend, dass er einen eigenen, wohlklingenden Namen führt: Sentiero Bonacossa. Von der
Auronzohütte ausgehend durchschneidet er die Cadini Gruppe bishin zur Col de
Varda-Bergstation oberhalb von Misurina. Ihm folgen wir die Grashänge des Monte
Campedelle (2345m) hinauf bis zu einem Sattel unterhalb des vollkommen unbedeutenden Gipfels.
Von nun an schlängelt sich der Pfad über ein schmales Felsband um unzählige
Vorsprünge herum. Unter uns liegt das Valle Campedelle und im Dunst können wir nur erahnen,
wie weit es links von uns in die Tiefe geht.
Ein sehr interessanter Weg, der jedoch
ständige Konzentration erfordert. Wir passieren einige künstliche Nischen im Fels, wie es
sie überall in dieser Gegend gibt: Pockennarben des Krieges. Noch eine Biegung nach rechts
und wir stehen endlich vor dem Einstieg in den Bonacossa Klettersteig.
Michael bekommt mit einem Male kalte Füße, meint, er fühle sich schon den ganzen Tag
wackelig auf den Beinen und er würde einen etwas zivilisierteren Weg zur Fonda Savio Hütte
bevorzugen.
Ausgerechnet das allererste Stück ist nicht gesichert, ein kurzer aber sehr schmaler Sims.
Da ist den Bergführern offenbar das Seil ausgegangen. Dahinter sind wieder Sicherungen
vorhanden, soweit man im Dunst sehen kann (etwa fünf Meter). Es ist zwar nicht so, dass ich
unter allen Umständen auf die Kletterei im Nebel erpicht wäre. Sie würde uns nur helfen,
eine Menge Zeit und Energie einzusparen. Doch meine Motivationskünste versagen kläglich
und so kehren wir wieder um. Vielleicht besser so, möglicherweise wäre wirklich etwas
passiert und ich hätte mich in der Rolle der Advocatus Diaboli wiedergefunden.
(iv) Zur Fonda Savio, 2.Versuch
Kurz vor der Auronzohütte kürzen wir über den Hang zur Autostraße ab. Für kurze
Zeit tauchen wir in eine andere, vergessen geglaubte Welt ein. Chromblitzende Motorräder
und Cabriolets kommen uns entgegen. Hinter dem Parkplatz beginnt endlich ein Trampelpfad,
der uns immer weiter absteigend bis unter die Baumgrenze geleitet. Hier unten ist es gleich
ein paar Grade wärmer und Schnee wurde seit Monaten nicht mehr gesichtet. Schließlich
geht es wieder aufwärts, wir lernen ein paar Kühe kennen, schleppen uns unter ärgsten
Anstrengungen ein ausgetrocknetes Bachbett hinauf, überqueren ein interessantes Plateau
mit hausgroßen Bouldern und erreichen letzlich die Rimbianco Scharte (2206m).
Hier treffen
wir wieder auf den guten alten 117er. Ob wir über den Klettersteig wirklich schneller
vorangekommen wären, werden wir niemals erfahren.
Wir umkreiseln die Cima Cadini und finden uns in einem schmalen Tälchen wieder, dessen
Grund trotz der geringen Höhe über und über mit Schnee bedeckt ist.
Der offizielle Weg führt selbstredend mitten durch die weiße Pampe. Wir schlagen uns
alternativ oberhalb davon durch
die Felsen, bis wir direkt unter der Fonda Savio Hütte stehen. Wir haben uns schon oft
gefragt, wie auf all diesen einsamen Berghütten die Abwasserentsorgung geregelt ist.
Nun sind wir schlauer, denn wir treten gerade durch ein Geröllfeld der besonderen Art:
bestehend aus Müll und zementhartem Klopapier mit "Gimmick". Lecker, lecker. Mal schauen,
ob wir morgen früh nicht auch einen bescheidenen Beitrag leisten können.
(v) Hüttenzauber
Ein bisschen Kletterspaß haben wir dann doch noch, bevor wir die Hütte über den
blau markierten Pfad erreichen. Die Hüttentochter zeigt uns sofort einmal unser "Zimmer",
das verdächtig nach einem niedrigen, dunklen und stickigen Dachboden aussieht.
Erreichbar
nur über den härtesten aller Klettersteige in Gestalt einer gut zwei Meter hohen Holzleiter,
an deren oberen Ende die Dachluke gähnt. Wer möchte da nicht zu gerne nachts betrunken mit
voller Blase heruntersteigen?
Nach und nach trudeln immer mehr Gäste ein und die kleine Hütte wird gerammelt voll. Das
Bier fließt und das Schnitzel mundet. Am Nebentisch sitzt eine Gruppe von Kletteranfängern,
die ein einwöchiges Rauf- und Runterseminar mitmachen. Wir sind angenehm überrascht, dass
dreiviertel der Teilnehmer weiblich sind und ich bin froh, dass ich noch ein frisches Shirt
ohne hässliche Salzränder in petto habe. Wir lernen zwei Jungs aus Köln kennen, die aus
der Gegenrichtung über die Diavolo Scharte gekommen sind und morgen in Richtung
der Drei Zinnen weiter wollen. Sie sind bestens ausgerüstet mit
Eispickel und Steigeisen, solcherlei Equipment hätte ich mir an der einen oder anderen
Stelle auch gewünscht. Wir empfehlen ihnen jedenfalls guten Gewissens den Paternkofel.
Da wäre dann noch die Gruppe alter Haudegen, welche zumindest an der Bierfront alles geben.
Wir haben das Privileg, den Dachboden mit ihnen teilen zu dürfen. Hoffentlich
schnarchen und furzen die nicht die ganze Nacht...
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